Angst und Furcht
HABT KEINE ANGST, ABER FURCHT!
Vor Gott brauche ich keine Angst zu haben, er liebt mich so sehr und achtet genau darauf, dass mein Fuß nicht an einen Stein stößt. Weil ich Gott liebe und ich ihn achte und ehre, habe ich Ehrfurcht vor ihm! Die Ehrfurcht ist der Schlüssel, um Gott tiefer schauen zu können. Und die Ehrfurcht führt mich hinein in die Furcht vor dem Herrn, in die staunende Anbetung wie groß Gott ist, wie klein er sich macht und aus Liebe zu uns auch ein Mensch wird.
Es überfällt mich ein heiliger Schauer, wenn ich erahne, wie der allmächtige Gott sich meiner erbarmt, jedes Haar auf meinem Kopf gezählt hat und keines ausfällt ohne sein Wissen. Das ist dann die timor domini, die Furcht vor Gott, die Gottesfurcht. Im Alten Testament ist oft von der Furcht des Herrn die Rede (z.B. in Sir 2,9; 19,20; 25,11; Jer 29,13; Mal 3,20). Die Gottesfurcht ist die Basis, um für das Wirken Gottes bereit zu sein.
DIE FURCHT DES HERRN IST DER ANFANG DER WEISHEIT. (Ps 111,10)
Diese Geistesgabe, die timor domini, ist der Anfang des intensiven geistlichen Weges mit Gott. Sie ist ein Kennzeichen der zweiten Umkehr, der Ganzhingabe. Die Heiligkeit Gottes wird von diesen Menschen auf eine doppelte, mitunter schmerzhafte Weise erlebt. Diese Furcht vor Gott ist einerseits anziehend und glückerfüllend, andererseits ist ihr helles Licht eine schmerzende Flamme, die das Unreine im Menschen aufdeckt, dann aber verbrennt. Die Beziehung zu Gott ist noch eine Mischung aus Liebe und Furcht.
So spielt der Mensch immer wieder leichtfertig mit der Sünde, und handelt so gegen die Furcht des Herrn und gegen die Weisheit (vgl. Sir 5,4-7). Ist es nicht furchtbar unklug, die Ewigkeit zu riskieren wegen einer Todsünde? Wenn die Liebe den Menschen noch nicht von der Sünde zurückhält, so doch wenigstens die Furcht vor dem Herrn. Hier ist also die Liebe zu Gott noch unvollkommen. Später liebt der Mensch Gott so sehr, dass er sich fürchtet wegen einer kleinen Sünde, Gott zu beleidigen.
Im 1. Johannesbrief (4,18) heißt es: „Furcht gibt es in der Liebe nicht, die vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht.“ So vollendet sich die Gabe der Furcht des Herrn in der vollkommenen Gottesliebe, diese aber ist die höchste, lauterste Ehr-Furcht des Herrn. Die Aufforderung „Fürchte dich nicht!“ findet sich 365 mal in der Bibel. Gottesliebe und Gottesfurcht schließen sich nicht aus, sondern sind wie die zwei Seiten einer Medaille.
WIE VERHÄLT ES SICH NUN MIT DER ANGST?
Angst entsteht, wo etwas bedroht ist, wo etwas in Gefahr gerät, wo etwas verloren geht. Angst entsteht durch das Missverhältnis zwischen meinem eigenen Vermögen (Kräfte, Fähigkeiten, Kompetenzen, Mut, Selbstvertrauen) und der Instabilität der Welt (Brüchigkeit, Ungewissheit, Unverlässlichkeit). Es gibt so viel um uns herum, wo wir allen Grund haben, vorsichtig zu sein. Das war schon immer so. Es ist wichtig, aufzupassen und Achtsamkeit walten zu lassen. Angst in uns ist etwas Normales und ist eine allgemeine Verunsicherung, die sich durch alle Lebensbereiche ziehen kann. Etwas kann immer bedroht sein.
Entscheidend ist, wie ich mit der Angst, die ich verspüre, umgehe: Es gibt da ganz verschiedene Möglichkeiten. Ich kann die Angst wegschieben, verdrängen, nicht wahrnehmen, oder ich kann offen mit ihr umgehen und innerlich bewerten, was an der Angst dran ist – den Wahrheitsgehalt prüfen und zu mir sagen: „Angst ist etwas Gutes.“ Wenn es eine echte Gefahr ist, dann bin ich froh, wenn mich meine Angst warnt und ich dann richtig reagieren kann.
Ich kann aber auch ein Angsthase sein und wegen nichts davonlaufen und innerlich sehr unruhig sein, obwohl es dafür gar keinen rational nachvollziehbaren Grund gibt. Die Angst in mir kann sich so sehr verselbständigen, dass ich Angst vor einer Einbildung habe und dass ich mir sicher bin, diese Einbildung sei echt. Dies nennt man dann Panik. Die Erinnerung an eine angstbesetzte Situation reicht aus und die Angst nimmt mir dann den Atem und lässt mein Herz rasen. Wenn sich die Angst von der Erinnerung auch noch abkoppelt und mich plötzlich die Angst aus dem Nichts überfällt, ohne dass es dafür einen Grund gibt, dann ist dies eine Panikattacke. Diese muss behandelt werden, sonst entsteht sogar ein Paniksyndrom, das eine ernstzunehmende psychische Erkrankung ist. Panik hat man nicht, man macht sie sich. Dieses Paniksyndrom oder die generalisierte Angststörung lässt mich die ganze Welt als sehr bedrohlich erleben, brüchig und nicht tragfähig.
So eine pathologische Angst entsteht dort, wo die Belastung einfach zu groß ist und meine Kräfte übersteigt. In diesem Stadium geht es dann darum, wieder sicheren Boden unter den Füssen zu bekommen und zu vertrauen, dass ich mit Gottes Hilfe in der Lage sein werde, für mich schwierige oder vielleicht aussichtslose Situationen wieder zu bewältigen und gut aus ihnen hervorzugehen.
Die Angst zeigt Grenzen auf, zeigt die Realität auf, zu der ich mich verhalten kann. Sie hilft bei der Erhaltung des Lebens, sie hilft, Werte zu erhalten. In der Depression geht mir das Spüren um die Werte verloren. In der Angst bin ich meinen Werten sehr nahe und ringe um sie.
Angst zeigt auf, was ansteht, was zu leben ist. Die Angst ist ein biologisch festgelegtes Alarmsignal, das unser Überleben schützt. Angst zeigt uns, wo etwas zum Leben kommen soll, wo Leben bedroht ist. Hier ist auch die Verbindung zur Freiheit: Durch meine Freiheit kann ich meine Angst überwinden.
Grundangst und Erwartungsangst
Zwei ganz unterschiedliche Arten von Ängsten müssen unterschieden werden:
Die tieferliegende Grundangst ist die Angst vor dem Nicht–Sein, vor der Brüchigkeit des Lebens, vor der Bodenlosigkeit. Es ist die Erfahrung: „Nichts ist wirklich sicher.“ Ich erfahre, dass das SEIN-KÖNNEN nicht sicher ist. Ich erfahre das „Nicht-sein-können“.
Als sekundäre Reaktion auf ein Erleben der Grundangst kann die Erwartungsangst entstehen. Erwartungsangst ist eine Haltung: „Es darf unter keinen Umständen das passieren, was ich als Angst auslösend erlebt habe, nur das nicht!“ Es ist bereits der Versuch einer Selbsttherapie gegen die Angst. Es ist ein Selbstheilversuch, eine Schutzreaktion, damit ich die Angst nicht erleben muss.
Die Erwartungsangst entsteht nicht aus dem Erlebnis der Brüchigkeit der Welt an sich, sondern aus einem Vorwegnehmen einer potentiellen Brüchigkeit des Lebens und dem damit verbundenen, unangenehmen Angstgefühlen. Die Menschen kommen aus der Existenz. Das Wesen der Erwartungsangst ist das lauernde Erwarten. Die Erwartungsangst ist die Angst vor der Angst. Es wird alles getan, damit das nicht passiert.
Der Ausweg aus der Angst hin zur Gottesfurcht
1) Halt geben
Gibt es jemand, der wirklich da ist, der Halt, Sicherheit, Festigkeit und Ruhe vermittelt? Jemand, der zeigt, dass Angst machendes zum Aushalten ist? Ja, diesen jemand gibt es!
Es gibt Halt gebende Strukturen: Meine Beziehung zu Gott, zu Menschen, zu sich selbst. Auch im Finden einer für mich guten Tagesstruktur: Durchschauen der alltäglichen Abläufe, Schaffen von fixen Abläufen. Selbstvertrauen stärken.
2) Reaktivieren der eigenen Kräfte und Ressourcen
Wie lebe ich weiter? Es geht darum, sich wieder den Werten und dem tiefsten Wert – nämlich Gott – zuzuwenden. Mit Gott und meiner Angst in einen Dialog treten. Es geht nicht darum, die Angst zum Freund zu machen, aber zu einem Wegbegleiter, der mich vielleicht auch irgendwann einmal verlassen wird. Gott hilft mir dabei. Er unterstützt mich beim Annehmen der Angst und dann beim Loslassen der angstbesetzten Dinge. Ich muss mir von der Angst nicht alles gefallen lassen. Ich bin bereits erlöst. Jesus hat mich frei gemacht durch seinen Tod am Kreuz.
3) Biographische Arbeit
Hier geht es um das verstehen der Ursachen der Angst. Gelingt es mir einen roten Faden zu finden und einen Zusammenhang darzustellen? Was ist die Rolle, die Aufgabe der Angst? Was will sie mir sagen oder besser, was will Gott mir durch meine Geschichte dadurch sagen?
4) Konfrontation
Ich gehe in die Nähe der Angst machenden Realitäten und Angst machenden Phantasien und überprüfe sie auf ihre Realität, auf ihre Wirklichkeit. Ich schaue hin auf die befürchtete Realität und die befürchteten Konsequenzen. Dabei verlieren die Gefühle an Macht und dadurch wächst wieder Mut und Zuversicht.
Ich muss mich dabei immer fragen, inwieweit zuerst noch Halt aufgebaut werden muss, wenn ich in die Konfrontation gehe. Das Hinschauen zeigt, dass die Bedrohung doch nicht so groß ist. Gott ist da und er beschützt mich – nur: traue ich ihm? Was geschieht durch die Konfrontation mit dem Schlimmsten? Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
„Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Solo dios basta – Gott alleine genügt.“ Hl. Teresa von Avila (1515 – 1582)