Monat: Juli 2015

Angst und Furcht

HABT KEINE ANGST, ABER FURCHT!

Vor Gott brauche ich keine Angst zu haben, er liebt mich so sehr und achtet genau darauf, dass mein Fuß nicht an einen Stein stößt. Weil ich Gott liebe und ich ihn achte und ehre, habe ich Ehrfurcht vor ihm! Die Ehrfurcht ist der Schlüssel, um Gott tiefer schauen zu können. Und die Ehrfurcht führt mich hinein in die Furcht vor dem Herrn, in die staunende Anbetung wie groß Gott ist, wie klein er sich macht und aus Liebe zu uns auch ein Mensch wird.

Es überfällt mich ein heiliger Schauer, wenn ich erahne, wie der allmächtige Gott sich meiner erbarmt, jedes Haar auf meinem Kopf gezählt hat und keines ausfällt ohne sein Wissen. Das ist dann die timor domini, die Furcht vor Gott, die Gottesfurcht. Im Alten Testament ist oft von der Furcht des Herrn die Rede (z.B. in Sir 2,9; 19,20; 25,11; Jer 29,13; Mal 3,20). Die Gottesfurcht ist die Basis, um für das Wirken Gottes bereit zu sein.

DIE FURCHT DES HERRN IST DER ANFANG DER WEISHEIT. (Ps 111,10)

Diese Geistesgabe, die timor domini, ist der Anfang des intensiven geistlichen Weges mit Gott. Sie ist ein Kennzeichen der zweiten Umkehr, der Ganzhingabe. Die Heiligkeit Gottes wird von diesen Menschen auf eine doppelte, mitunter schmerzhafte Weise erlebt. Diese Furcht vor Gott ist einerseits anziehend und glückerfüllend, andererseits ist ihr helles Licht eine schmerzende Flamme, die das Unreine im Menschen aufdeckt, dann aber verbrennt. Die Beziehung zu Gott ist noch eine Mischung aus Liebe und Furcht.

So spielt der Mensch immer wieder leichtfertig mit der Sünde, und handelt so gegen die Furcht des Herrn und gegen die Weisheit (vgl. Sir 5,4-7). Ist es nicht furchtbar unklug, die Ewigkeit zu riskieren wegen einer Todsünde? Wenn die Liebe den Menschen noch nicht von der Sünde zurückhält, so doch wenigstens die Furcht vor dem Herrn. Hier ist also die Liebe zu Gott noch unvollkommen. Später liebt der Mensch Gott so sehr, dass er sich fürchtet wegen einer kleinen Sünde, Gott zu beleidigen.

Im 1. Johannesbrief (4,18) heißt es: „Furcht gibt es in der Liebe nicht, die vollkommene Liebe vertreibt alle Furcht.“ So vollendet sich die Gabe der Furcht des Herrn in der vollkommenen Gottesliebe, diese aber ist die höchste, lauterste Ehr-Furcht des Herrn. Die Aufforderung „Fürchte dich nicht!“ findet sich 365 mal in der Bibel. Gottesliebe und Gottesfurcht schließen sich nicht aus, sondern sind wie die zwei Seiten einer Medaille.

WIE VERHÄLT ES SICH NUN MIT DER ANGST?

Angst entsteht, wo etwas bedroht ist, wo etwas in Gefahr gerät, wo etwas verloren geht. Angst entsteht durch das Missverhältnis zwischen meinem eigenen Vermögen (Kräfte, Fähigkeiten, Kompetenzen, Mut, Selbstvertrauen) und der Instabilität der Welt (Brüchigkeit, Ungewissheit, Unverlässlichkeit). Es gibt so viel um uns herum, wo wir allen Grund haben, vorsichtig zu sein. Das war schon immer so. Es ist wichtig, aufzupassen und Achtsamkeit walten zu lassen. Angst in uns ist etwas Normales und ist eine allgemeine Verunsicherung, die sich durch alle Lebensbereiche ziehen kann. Etwas kann immer bedroht sein.

Entscheidend ist, wie ich mit der Angst, die ich verspüre, umgehe: Es gibt da ganz verschiedene Möglichkeiten. Ich kann die Angst wegschieben, verdrängen, nicht wahrnehmen, oder ich kann offen mit ihr umgehen und innerlich bewerten, was an der Angst dran ist – den Wahrheitsgehalt prüfen und zu mir sagen: „Angst ist etwas Gutes.“ Wenn es eine echte Gefahr ist, dann bin ich froh, wenn mich meine Angst warnt und ich dann richtig reagieren kann.

Ich kann aber auch ein Angsthase sein und wegen nichts davonlaufen und innerlich sehr unruhig sein, obwohl es dafür gar keinen rational nachvollziehbaren Grund gibt. Die Angst in mir kann sich so sehr verselbständigen, dass ich Angst vor einer Einbildung habe und dass ich mir sicher bin, diese Einbildung sei echt. Dies nennt man dann Panik. Die Erinnerung an eine angstbesetzte Situation reicht aus und die Angst nimmt mir dann den Atem und lässt mein Herz rasen. Wenn sich die Angst von der Erinnerung auch noch abkoppelt und mich plötzlich die Angst aus dem Nichts überfällt, ohne dass es dafür einen Grund gibt, dann ist dies eine Panikattacke. Diese muss behandelt werden, sonst entsteht sogar ein Paniksyndrom, das eine ernstzunehmende psychische Erkrankung ist. Panik hat man nicht, man macht sie sich. Dieses Paniksyndrom oder die generalisierte Angststörung lässt mich die ganze Welt als sehr bedrohlich erleben, brüchig und nicht tragfähig.

So eine pathologische Angst entsteht dort, wo die Belastung einfach zu groß ist und meine Kräfte übersteigt. In diesem Stadium geht es dann darum, wieder sicheren Boden unter den Füssen zu bekommen und zu vertrauen, dass ich mit Gottes Hilfe in der Lage sein werde, für mich schwierige oder vielleicht aussichtslose Situationen wieder zu bewältigen und gut aus ihnen hervorzugehen.

Die Angst zeigt Grenzen auf, zeigt die Realität auf, zu der ich mich verhalten kann. Sie hilft bei der Erhaltung des Lebens, sie hilft, Werte zu erhalten. In der Depression geht mir das Spüren um die Werte verloren. In der Angst bin ich meinen Werten sehr nahe und ringe um sie.

Angst zeigt auf, was ansteht, was zu leben ist. Die Angst ist ein biologisch festgelegtes Alarmsignal, das unser Überleben schützt. Angst zeigt uns, wo etwas zum Leben kommen soll, wo Leben bedroht ist. Hier ist auch die Verbindung zur Freiheit: Durch meine Freiheit kann ich meine Angst überwinden.

Grundangst und Erwartungsangst

Zwei ganz unterschiedliche Arten von Ängsten müssen unterschieden werden:
Die tieferliegende Grundangst ist die Angst vor dem Nicht–Sein, vor der Brüchigkeit des Lebens, vor der Bodenlosigkeit. Es ist die Erfahrung: „Nichts ist wirklich sicher.“ Ich erfahre, dass das SEIN-KÖNNEN nicht sicher ist. Ich erfahre das „Nicht-sein-können“.

Als sekundäre Reaktion auf ein Erleben der Grundangst kann die Erwartungsangst entstehen. Erwartungsangst ist eine Haltung: „Es darf unter keinen Umständen das passieren, was ich als Angst auslösend erlebt habe, nur das nicht!“ Es ist bereits der Versuch einer Selbsttherapie gegen die Angst. Es ist ein Selbstheilversuch, eine Schutzreaktion, damit ich die Angst nicht erleben muss.
Die Erwartungsangst entsteht nicht aus dem Erlebnis der Brüchigkeit der Welt an sich, sondern aus einem Vorwegnehmen einer potentiellen Brüchigkeit des Lebens und dem damit verbundenen, unangenehmen Angstgefühlen. Die Menschen kommen aus der Existenz. Das Wesen der Erwartungsangst ist das lauernde Erwarten. Die Erwartungsangst ist die Angst vor der Angst. Es wird alles getan, damit das nicht passiert.

Der Ausweg aus der Angst hin zur Gottesfurcht

1) Halt geben
Gibt es jemand, der wirklich da ist, der Halt, Sicherheit, Festigkeit und Ruhe vermittelt? Jemand, der zeigt, dass Angst machendes zum Aushalten ist? Ja, diesen jemand gibt es!
Es gibt Halt gebende Strukturen: Meine Beziehung zu Gott, zu Menschen, zu sich selbst. Auch im Finden einer für mich guten Tagesstruktur: Durchschauen der alltäglichen Abläufe, Schaffen von fixen Abläufen. Selbstvertrauen stärken.

2) Reaktivieren der eigenen Kräfte und Ressourcen
Wie lebe ich weiter? Es geht darum, sich wieder den Werten und dem tiefsten Wert – nämlich Gott – zuzuwenden. Mit Gott und meiner Angst in einen Dialog treten. Es geht nicht darum, die Angst zum Freund zu machen, aber zu einem Wegbegleiter, der mich vielleicht auch irgendwann einmal verlassen wird. Gott hilft mir dabei. Er unterstützt mich beim Annehmen der Angst und dann beim Loslassen der angstbesetzten Dinge. Ich muss mir von der Angst nicht alles gefallen lassen. Ich bin bereits erlöst. Jesus hat mich frei gemacht durch seinen Tod am Kreuz.

3) Biographische Arbeit
Hier geht es um das verstehen der Ursachen der Angst. Gelingt es mir einen roten Faden zu finden und einen Zusammenhang darzustellen? Was ist die Rolle, die Aufgabe der Angst? Was will sie mir sagen oder besser, was will Gott mir durch meine Geschichte dadurch sagen?

4) Konfrontation
Ich gehe in die Nähe der Angst machenden Realitäten und Angst machenden Phantasien und überprüfe sie auf ihre Realität, auf ihre Wirklichkeit. Ich schaue hin auf die befürchtete Realität und die befürchteten Konsequenzen. Dabei verlieren die Gefühle an Macht und dadurch wächst wieder Mut und Zuversicht.
Ich muss mich dabei immer fragen, inwieweit zuerst noch Halt aufgebaut werden muss, wenn ich in die Konfrontation gehe. Das Hinschauen zeigt, dass die Bedrohung doch nicht so groß ist. Gott ist da und er beschützt mich – nur: traue ich ihm? Was geschieht durch die Konfrontation mit dem Schlimmsten? Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.

„Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Solo dios basta – Gott alleine genügt.“ Hl. Teresa von Avila (1515 – 1582)

Selbstannahme

NUR WAS ANGENOMMEN IST, KANN ERLÖST WERDEN

Sich selbst annehmen – heißt das, dass eh alles OK ist, wir alle eigentlich tolle Typen sind und uns gar nicht mehr ändern oder bemühen müssten?

„Der heilige Athanasius sagt: Nur was angenommen wird, kann erlöst werden. Diese tiefe psychospirituelle Weisheit besagt, dass ich durch die Selbsterkenntnis und Annahme meiner Selbst soweit kommen muss, dass ich auch meine Schwächen lerne anzunehmen und das Beste daraus zu machen, also in der Schwachheit stark werden, wachsen durch meine Begrenztheit hindurch, Mut, mich anzunehmen in meiner Unzulänglichkeit. Dies lerne ich Schritt für Schritt umso besser kennen, je mehr ich mich traue auf mich und meine Wirklichkeit zu schauen – und dann wird es schwer, die Änderung meiner gewohnten, oft eingefahrenen Verhaltensweisen, die Umwandlung meiner Art und Weise, wie ich mich gebe. Das geht ins Eingemachte und da braucht es den Geist Gottes, dass ich bereit bin, immer wieder hinzuschauen und an mir zu arbeiten, und nicht müde, faul oder feig werde.“

Wie kann man sich eigentlich ehrlich anschauen und sich auch ehrlich annehmen?

„Dies ist eine wichtige Frage und ganz wichtige Grundhaltung im Alltag. Eigentlich ist die Frage eine doppelte, nämlich: welche innere Haltung bringe ich mir selbst entgegen (mein Selbstbild) und welche Haltung erlebe ich, dass mir andere Menschen entgegenbringen (mein Fremdbild). Aus der eigenen Bejahung entsteht das Gefühl von Selbstwert, also das Gefühl für den Wert der eigenen Person.
Das Eigene kann ich nur so ins Leben bringen und der Umgebung sichtbar machen, indem ich eine Grenze ziehe zwischen dem Außen und dem Eigenen. Durch diese Grenzziehung schütze ich mich und außerdem bin ich dadurch erst in der Lage, mein Eigenes zu leben, es sichtbar für andere zu machen.
Durch das Fremdbild wird das Selbstbild ausgeweitet durch das Erleben, ob das, was die anderen von mir sehen, auch zu mir gehört und ich das auch so sehen kann. Es entsteht also im Idealfall eine Kongruenz, also eine Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdbild. Das ist dann ehrlich anschauen und ehrlich annehmen, wenn ich erlebe, dass ich und die anderen mich ähnlich sehen – und zwar meine guten und schwachen Eigenschaften oder Verhaltensweisen.“

Ist Annahme seiner selbst in jeder Lebensphase oder Lebenssituation möglich? Muss das immer wieder neu „gelernt“ sein?

„Die wichtigste Grundannahme passiert in den ersten Lebensmonaten. Gelingt es nicht zu meiner Hauptbezugsperson, die meist die Mutter ist, eine Bindung aufzubauen und zwar so, dass Grundvertrauen entstehen, kann ich mich ein Leben lang nicht gut oder – im schlimmsten Fall – gar nicht annehmen. Hier braucht es oft Heilung von Gott her und Nachreifung im emotionalen Bereich. Dafür gibt es erprobte Therapiemodelle, die haltgebend sind und so Sicherheit und Selbstannahme erlernen helfen.“

Sie erwähnen die Mutter. Welche Rolle spielen denn die Eltern für das Kind, den späteren Erwachsenen in Hinblick auf die Selbstaktzeptanz?

„In besonderen Stresssituationen verfalle ich auf meine basalen Grundmuster, also in die Verhaltensweisen, die ich von meinen Eltern als Kind abgeschaut und ganz tief abgespeichert habe. In Extremsituationen reagiere ich immer so wie ein Kind, daher meist ängstlich. Selbstannahme in angstbesetzten Situationen ist von Mensch zu Mensch verschieden, die meisten aber reagieren mit einer Selbstwertschwächung und einer Erschöpfungsreaktion oder Flucht oder Verdrängung. Durch schwere Traumen (das sind tiefe emotionale Verletzungen wie Naturkatastrophen, (sexualisierte oder emotionale) Gewalt oder totale Überforderung) kann zu jederzeit der Selbstwert nachhaltig geschwächt oder zerstört werden, so stark, dass die Person nicht mehr dieselbe ist wie vorher. Bei einer Traumaaufarbeitung, wo auch Versöhnung eine zentrale Rolle spielt, die aber vorbereitende Schritte braucht, wird Selbstwert und Selbstsicherheit neu gelernt und erinnert.“

„Der Heilige Geist wird euch in alle Wahrheit einführen.“ Hat das auch mit Annahme zu tun? Annehmen kann ich doch nur, was ich kenne, oder?

„Wenn ich den Geist Gottes bitte, mich aufzudecken und mir Selbsterkenntnis zu schenken, tut er es auch. Wer bittet, der erhält. Wir Menschen haben aber oft so viele Mechanismen, uns selbst etwas vorzumachen, weil wir glauben, von anderen Verhaltensweisen mehr zu haben. Ein Beispiel ist, dass wir uns oft gerne besser darstellen als wir eigentlich sind. Das Ergebnis ist neben der persönlichen inneren Überforderung eine Differenz zwischen Selbst- und Fremdbild. Der andere erlebt mich dann als nicht kongruent (übereinstimmend) mit dem, was er von mir erlebt. Er erlebt mich nicht echt, unauthentisch und nimmt möglicherweise Abstand von mir. Ich verstehe dann das Verhalten des anderen nicht, weil ich nicht erkenne, dass es an mir liegt, dass die anderen sich durch meine Art abwenden. Hier kann der Geist Gottes helfen, mich ehrlich anzusehen, ändern muss ich mich dann aber selbst.“

Wenn man nun aber gerne anders aussehen würde oder gerne 6 Sprachen könnte, 4 Instrumente spielen und überhaupt das ganze Leben hätte anders laufen sollen? Was dann??

„Das ist dann keine Frage des Selbstwerts, sondern eine Selbstüberschätzung. Die Ent-täuschung ist je nach persönlicher Energiekapazität bald erreicht. Diese Person braucht ein realistisches Selbstbild. Jeder Perfektionismus führt unweigerlich in eine Überforderung und dadurch in eine Frustration und oft Depression, also Sinn- und Energielosigkeit. Innere tiefe Unzufriedenheit und die schmerzhafte Erfahrung, dass ich mein Leben verpfuscht habe, kann helfen wie der verlorene Sohn in Lk 15 in sich zu gehen und umzukehren. Der Selbstwert ist zwar bei Null, aber ich bin offen und kann mir von Gott alles – auch meinen Selbstwert – neu schenken lassen.“

In unserer Gesellschaft gibt es klare Vorgaben, wie man auszusehen hat – kann man sich dem entziehen, was der Mainstream vorgibt? Sind wir nicht alle dazu verurteilt, immer mit uns unzufrieden zu sein?

„Die heutige Gesellschaft ist so diversifiziert, dass heute ohnehin jeder alles sein und machen kann, was er will. Bin hin zur Auswahl seines sozialen Geschlechts: diese Genderideologie ist ein Grund, warum der Selbstwert vieler Menschen so zerstört ist, weil sie keinen Halt mehr haben. Da ist die Lehre der Kirche ganz wichtig, und die Kirche ist gut beraten, wenn sie nicht jeden Mainstream mitmacht – das hilft vielen Menschen aus psychologischer Sicht enorm. Die klare Haltung der Kirche, die Halt vermittelt, hilft auch Fernstehenden und sogar Un- oder Andersgläubigen.“

Wird Selbstannahme von Christen vielleicht manchmal missverstanden? So, als dürfte man an sich selbst nichts Gutes sehen?

„Ja, die Annahme seiner selbst wird bei Christen sogar oft gründlich missverstanden. Warum das? Weil das Gottesbild entscheidet. Doch wir Menschen brauchen Vorstellungen, um uns zu orientieren. So kann es sein, dass wir das Empfinden haben, wenn es uns gut geht, ist das nicht wohlgefällig vor Gott. Oder: wenn wir uns schön oder gut oder gescheit finden, ist das Hochmut und Gott bringt den Stolzen zu Fall. Dann warte ich nur noch auf den Fall und bin ich dann tatsächlich (warum auch immer) gefallen, ist das eine selbsterfüllende Prophezeiung, die meinen Selbstwert wieder schwächt.
Wenn wir ein gesundes Gottesbild eines liebenden Gottes haben, der mich so sein lässt und so annimmt wie ich bin, ist das eine wichtige Hilfe, dass ich mich als Christ annehmen kann.
Oft kommen aber auch die Erfahrungen meiner Kindheit zum Tragen. Wenn ich als Kind nicht gut genug war und immer mehr leisten oder besser funktionieren musste, dann wird es als Erwachsener auch schwer vor Gott und vor mir selbst, mich liebevoll anzuschauen und zu mir sagen zu können: Es ist ok, so wie Du bist. Das strafende Eltern-Ich ist dann oft noch stärker als meine eigene aktuelle Wahrnehmung.“

Wieweit helfen Gebet, ein Leben der Innerlichkeit, Stille und Sammlung bei diesem Prozess der Annahme?

„Das Hinschauen auf Gott und das durch den Blick Gottes Erkennen meiner Armseligkeit und Begrenztheit hilft sehr für eine realistische Selbstannahme. Die Gefahr ist, dass ich durch ein falsches Gottesbild mir ständig wegen allem und jedem ein „schlechtes Gewissen“ mache. Tatsächlich hat das nichts mit schlechtem Gewissen zu tun, sondern es sind aus psychologischer Sicht Schuldgefühle, die keine objektive Schuld darstellen, aber als Schuld empfunden werden. Hier brauche ich jemand, einen geistlichen Begleiter, einen Psychotherapeuten, einen erfahrenen Menschen, der mir hilft, eingebildete Schuld von echter Schuld unterscheiden zu helfen. Das Gebet hilft mir da leider oft wenig, weil ich den Dialog und die Außenwahrnehmung brauche, um nicht in einem solipsistischen Dialog mit Gott mich selbst widerzuspiegeln und mich so implizit dauernd selbst zu bestätigen. Die Lektüre der Bibel oder von Heiligen hilft da etwas, wenn ich in der Lage bin, das Wort Gottes quer zu meinen Denkgewohnheiten zu empfangen und bereit bin, den unbequemen Weg der Umkehr zu gehen.“